Die Bedeutung von Kreativität in Krisenzeiten

Im Jahr 2012 führte der Software-Gigant Adobe mit dem State of Create-Projekt eine beispiellose Umfrage durch, in der über 5.000 Erwachsene auf dem ganzen Globus teilnahmen.[1] Die Frage: Wie wichtig ist Kreativität für uns als Gesellschaft? Kreativität wird häufig als ein Soft-Skill abgetan. Ein nice-to-have, dass wir in Künstlern und Musikerinnen bewundern, für uns selbst häufig aber als Luxus abtun. Wichtiger ist, dass wir unser Team managen, die Deadlines einhalten, handfeste Ergebnisse abliefern. Doch die Daten in Adobes Umfrage sprachen eine andere Sprache:
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Quer durch die Umfrage zeigte sich, dass kreative Menschen deutlich erfolgreicher, motivierter und erfüllter sind als weniger kreative Menschen – und im Schnitt 13% mehr verdienen. Unternehmen, die in Kreativität investieren, lassen ihre Rivalen in Puncto Umsatzzuwachs, Marktanteilen und Kundenzufriedenheit in einer Staubwolke zurück. 

Kreativität hat sich zu einer der zentralsten Fähigkeiten in unserer heutigen Wirtschaft entwickelt. Wollten wir unsere Kindern im letzten Jahrhundert noch die drei „R“ vermitteln – reading (Lesen), writing (Schreiben) und arithmetic (Mathegrundkenntnisse) – so werden für das 21. Jahrhundert die vier „K“ als elementar angesehen: Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kooperation.[2]  

Die Wissenschaft der Kreativität

Bei all dem ist es nicht verwunderlich, dass die Wissenschaft sich immer intensiver mit der Frage auseinandersetzt, welche Faktoren Kreativität bedingen und wie diese gefördert werden kann. Einen überraschenden Effekt entdeckte dabei die Psychologin Barbara Fredrickson: Es stimmt nicht nur, dass Kreativität zu höherem Erfolg und mehr Erfüllung führt – die Gleichung lässt sich auch umdrehen! Wie sie herausfand, sind wir besonders dann kreativ, wenn wir positive Emotionen erleben.[3] In zahlreichen Experimenten zeigte Fredrickson, dass glückliche Menschen mehr und kreativere Lösungen für ein Problem generieren können, mehr Verhaltensimpulse zeigen und Zusammenhänge besser erkennen können. Positive Emotionen erweitern also unsere Denk- und Verhaltensrepertoire und regen uns zu persönlichem Wachstum an.[4] 

Wenn wir darüber reden wollen, Kreativität zu steigern, kommen wir also nicht um positive Emotionen herum. Nun sind wir zur Zeit in einer Pandemie, die Zukunft ist ungewiss, die Kontaktbeschränkungen schlagen sich auf das Gemüt und die wirtschaftliche Lage vieler Unternehmen ist prekär. All diese Faktoren sind unserer Stimmung nicht gerade zuträglich und einige von uns erleben in diesen Tagen immer seltener positive Emotionen. 

Die Frage stellt sich also: Wie kann ich als Führungskraft meine eigene Kreativität und die meines Teams oder meiner Organisation erhalten, wenn uns allen das Wasser bis zum Hals steht und positive Emotionen rar gesät sind? Die gute Nachricht: auch hierzu gibt uns die Wissenschaft hilfreiche Antworten. Im heutigen Artikel möchten wir dir drei Wege vorstellen, wie Kreativität in Krisenzeiten erhalten oder sogar gesteigert werden kann. 

1. Positive Emotionen fördern

Der erste Weg klingt zwar offensichtlich, doch es lohnt sich, ihn an dieser Stelle nochmal hervorzuheben. Auch wenn es in diesen Zeiten schwierig erscheinen mag, positive Emotionen zu empfinden und zu fördern, ist der Return-on-Investment dafür hoch. Die Forschung zeigt, dass gerade in Krisenzeiten diese kurzen Momente der Dankbarkeit, Neugierde, Liebe oder Wertschätzung wichtig sind, um unsere psychische Gesundheit zu erhalten. Diese positiven Emotionen sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass resiliente Personen besser Krisen wie eine Pandemie oder die Folgen eines Terroranschlags bewältigen und sogar gestärkt daraus hervorgehen können. [5] 

Doch welche Möglichkeiten haben wir, positiven Emotionen in unserem Leben aktiv zu fördern, wenn viele der üblichen Wege wie Zeit mit Freunden oder berufliche Erfolgserlebnisse wegfallen? Eine der simpelsten Wege, um einen sofortigen Glücks-Schub zu bekommen, ist Dankbarkeit. Schon seit Jahrzehnten ist in der Psychologie dokumentiert, welchen positiven Effekte es hat, wenn wir uns regelmäßig darüber bewusst werden, wofür wir im Leben dankbar sein können. [6] 

Doch was häufig noch unterbewertet wird, ist welch erstaunliche Wirkung es haben kann, wenn wir anderen Menschen unsere Dankbarkeit ausdrücken. Laut einer Studie überschätzen wir, als wie peinlich ein ausgesprochenes „Danke“ rüberkommen könnte, und unterschätzen, welch positiven Effekt das Danke beim Gegenüber auslöst. [7] Dankbarkeit ist also ein simpler, kostenloser Weg, um auch (um gerade) in Krisenzeiten ein gewisses Maß an positiven Emotionen in uns selbst und in unserem Team zu erhalten. 

2. Der richtige Umgang mit Stress

In der Diskussion um Stress und herausfordernde Situationen wird häufig vernachlässigt, dass ein gewisses Maß an Stress durchaus zuträglich für unsere Leistung und Kreativität ist. Bis zu einem bestimmten Ausmaß können herausfordernde Situationen (z.B. Zeitdruck) anregend sein und unsere Kreativität steigern. [8] In dieser Zone der optimalen Beanspruchung können wir in den Flow-Zustand kommen, in dem wir zu mentalen und körperlichen Höchstleistungen auflaufen. Sehen wir uns jeden Tag nur mit Routine-Aufgaben und keinerlei Stress konfrontiert, beginnen wir uns schnell zu langweilen und unser Leistungslevel fällt ab. [9]

Doch natürlich gibt es auch zu viel Stress. Wenn wir kaum noch mit der Schlagzahl unserer Umgebung mithalten können und uns der Berg an Aufgaben über den Kopf wächst, fällt unser Leistungslevel, Wohlbefinden und unsere Kreativität schnell ab. Wenn unsere Mitarbeitenden beklagen, dass sie überfordert sind und unter starkem Stress stehen, ist es also unsere Aufgabe als Führungskraft, die Bedingungen zu schaffen, unter denen sie optimal mit diesem Stress umgehen können. 

Ein Faktor, der seit Beginn der Stress-Forschung als elementar für den erfolgreichen Umgang mit Stress gilt, ist der sogenannte Handlungsspielraum. Es geht dabei um das Ausmaß, in dem wir unsere Arbeit selbst gestalten können, Entscheidungen selbst treffen und dafür Verantwortung übernehmen dürfen und unsere eigenen Wege und Möglichkeiten finden können, um mit kurzfristig entstehenden Hindernissen und Problemen umzugehen. Haben wir einen hohen Handlungsspielraum, ermöglicht uns das, unsere Kreativität wirklich zu entfalten und einzubringen, erfolgreich mit Herausforderungen Situationen umzugehen und unseren Stress auf einem moderaten Level zu halten. [10] Wir tun also gut daran, unseren Mitarbeitenden diese Freiheit zuzugestehen und ihnen auch in Zeiten des Home-Office Vertrauen entgegenzubringen und Verantwortung zu übertragen. 

3. “Kreativität erfordert den Mut, Sicherheiten loszulassen”

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Dieses Zitat von Erich Fromm bringt es auf den Punkt. Um die wahre Kraft von Kreativität zu entfalten, brauchen wir die Bereitschaft, Risiken einzugehen und unseren sicheren Hafen zu verlassen. [11] In dieser Hinsicht kann die Corona-Pandemie die Kreativität und Innovationskraft von Organisationen sogar erhöhen. Diese Zeiten, die von Unsicherheit und ständigem Wandel geprägt sind, erfordern von uns, dass wir neue Lösungen ausprobieren und unkonventionelle Wege gehen. Für diese Veränderungen sollten wir offen und mutig sein.

Vielleicht hatten unsere Mitarbeitenden vorher schon kreative Ideen und neue Lösungsansätze, die jedoch gegen den Mainstream gingen und deshalb nicht umgesetzt wurden. Die Corona-Krise verleitet Unternehmen jetzt dazu, Innovationen zu wagen. Neue Produktkonzepte werden gebrainstormt und sofort in die Tat umgesetzt. Das digitale Projektmanagement Tool wird eingeführt und aktiv genutzt, weil sonst riesiges Chaos herrschen würde. Die zuvor in der Schublade verstaubende Social Media Kampagne wird umgesetzt, weil sich das (Arbeits-)Leben immer mehr in den virtuellen Raum und auf diese Plattformen verlagert.

Ja, die Corona-Krise stellt vieles auf den Kopf und wenn wir nicht lernen, uns an die neuen Bedingungen anzupassen, können wir von der Welle weggespült werden. Wenn wir als Führungskraft aber Verantwortung übernehmen und aktiv die Bedingungen schaffen, in denen kreative Ideen entstehen und umgesetzt werden können, reiten wir mit unserer Organisation diese Welle wie im Flow und können einen Vorsprung gewinnen, der uns noch über Jahre hinweg tragen wird.

Mit inspirierenden Grüßen,

Julian

[1] Adobe, State of Create Study: Global Benchmark Study on Attitudes and Beliefs about Creativity at Work, Home and School, April 2012.

[2] Bri Stauffer, “What Are the 4 C’s of 21st Century Skills?,” Applied Educational Systems, May 2020.

[3] Fredrickson, B. L. (2004). The broaden–and–build theory of positive emotions. Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Series B: Biological Sciences, 359(1449), 1367-1377.

[4] Fredrickson, B. L., & Branigan, C. (2005). Positive emotions broaden the scope of attention and thought‐action repertoires. Cognition & emotion, 19(3), 313-332.

[5] Fredrickson, B. L., Tugade, M. M., Waugh, C. E., & Larkin, G. R. (2003). What good are positive emotions in crisis? A prospective study of resilience and emotions following the terrorist attacks on the United States on September 11th, 2001. Journal of personality and social psychology, 84(2), 365-376.

[6] Sheldon, K. M., & Lyubomirsky, S. (2006). How to increase and sustain positive emotion: The effects of expressing gratitude and visualizing best possible selves. The Journal of Positive Psychology, 1(2), 73-82.
[7] Kumar, A., & Epley, N. (2018). Undervaluing Gratitude: Expressers Misunderstand the Consequences of Showing Appreciation. Psychological Science, 29(9), 1423–1435.
[8] Khedhaouria, A., Montani, F., & Thurik, R. (2017). Time pressure and team member creativity within R&D projects: The role of learning orientation and knowledge sourcing. International Journal of Project Management, 35(6), 942-954.
[9] Csikszentmihalyi, M., & Csikzentmihaly, M. (1990). Flow: The psychology of optimal experience (Vol. 1990). New York: Harper & Row.
[10] Karasek Jr, R. A. (1979). Job demands, job decision latitude, and mental strain: Implications for job redesign. Administrative Science Quarterly, 285-308.
[11] Dewett, T. (2007). Linking intrinsic motivation, risk taking, and employee creativity in an R&D environment. R&D Management, 37(3), 197-208.

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